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Wahre Kosten (Kostenwahrheit oder «True Costs»)
Definition
Wahre Kosten (= True Costs) sind die Gesamtkosten eines Produkts oder einer Dienstleistung, die neben dem Marktpreis auch versteckte Auswirkungen umfassen („externe Kosten“). Dazu gehören beispielsweise Umweltbelastungen, Gesundheitsfolgen, soziale Missstände oder Tierwohl, sowie positive externe Effekte, die oft nicht im Preis eingerechnet, aber von der Gesellschaft getragen werden. Eine transparente Berechnung der wahren Kosten soll helfen, nachhaltigere Entscheidungen zu fördern, um so die Transformation des Ernährungssystems zu erreichen.
Das Konzept
Die wahren Kosten eines Produktes berechnen sich durch Summierung der folgenden Aspekte:
- Produktionskosten: Arbeit, Kapital, Ressourcen, Transport, Verarbeitung, etc.
- Externe Kosten: monetäre & nicht-monetäre Kosten, z.B. Gesundheitskosten, THG-Emissionen, Landnutzungswechsel, Wasserverbrauch, Biodiversitätsverlust.
Der SOFA-Report[1] der FAO kommt zum Schluss, dass die versteckten Kosten des globalen Ernährungssystems jährlich 12.7 Billionen US-Dollar betragen. Davon entfallen:
- 0.6 Billionen Dollar auf soziale Komponenten
- 2.9 Billionen Dollar auf die Umwelt
- 9.3 Billionen Dollar auf die Gesundheit
Für die Schweiz nennt der FAO-Report folgend Zahlen:
- 0 Milliarden Dollar Soziales
- 3.6 Milliarden Dollar Umwelt
- 18 Milliarden Dollar Gesundheit
Die Zahlen sind mit grossen Unsicherheiten verbunden u.a. da nur weltweit verfügbare Daten verwendet werden.
Aktuelle Projekte und Visionen
«Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030» Der Bund setzt sich für «die Herstellung von Kostenwahrheit mittels Internalisierung externer Kosten» ein.
- Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik Eines der vier Handlungsfelder ist «Transparenz und Kostenwahrheit erhöhen»: «Eine beschränkte Markttransparenz und mangelnde Integration externer Effekte in die Konsumentenpreise behindern heute ein nachhaltiges, gesundheits- und tierwohlförderndes Einkaufsverhalten. Entsprechend gilt es, den Konsumentinnen und Konsumenten entsprechend Informationen zugänglich zu machen. Zudem braucht es Mechanismen, die zu einer besseren Berücksichtigung der externen Kosten beim Konsumentscheid führen.»
- Klimastrategie Landwirtschaft und Ernährung Die Massnahme K-07 lautet: Ausarbeiten von Reformvorschlägen zur Annäherung an die Kostenwahrheit in der Wertschöpfungskette von Lebensmitteln.
- SNF-Projekt Ein Konsortium aus verschiedenen Partnern hat das durch den SNF finanzierte Projekt TRUE-COST mit einer Laufzeit von 2024-2027 initialisiert. Der zugesprochene Betrag beträgt 3'219'332 CHF.
Ein Risiko für die Landwirtschaft
Nur ein Modell – Schwierige Berechnung & Standardisierung
Die Berechnung der «wahren» Kosten ist lediglich ein Modell oder Indikator, der die komplexe Realität nur stark vereinfach wiedergibt und auf vielen Annahmen beruht, welche z.T. nicht evidenzbasiert ermittelt werden können. Ökologische und soziale Auswirkungen sind schwer messbar. Auch die Gewichtung bzw. Bewertung der einzelnen Komponenten ist subjektiv (z.B. Tierwohl), es werden nicht immer die gleichen Faktoren berücksichtigt, Interaktionen können nur schlecht abgebildet werden und Zielkonflikten wird keine Rechnung getragen.
Komplexität wird unterschätzt
Die Ermittlung der wahren Kosten ist komplex, da bestimmte Auswirkungen schwer messbar sind und es fehlen oft verlässliche Daten, wodurch die entsprechenden Faktoren nicht berücksichtigt werden.
Entsprechend müsste man um tatsächlich die «wahren» Kosten fair abbilden zu können, diese für jeden (Landwirtschafts-)Betrieb und dessen Produkte separat berechnen. Denn die Produktionsgrundlagen und -gegebenheiten (z.B. Topografie) sowie die betriebswirtschaftliche Ausrichtung unterscheiden sich zwischen den Betrieben sehr stark. Das ist nicht umsetzbar.
Konzept lässt Marktrealitäten ausser Acht
Das Konzept der wahren Kosten basiert auf theoretischen Annahmen, die nicht immer mit den wirtschaftlichen Realitäten des Marktes übereinstimmen. Preise werden nicht nur durch Produktionskosten bestimmt, sondern auch durch Angebot und Nachfrage, internationale Handelsabkommen und politische Rahmenbedingungen. Eine einseitige Einführung könnte daher zu Marktverzerrungen führen und die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft schwächen, ohne dass sich das Konsumverhalten wesentlich ändert.
Benachteiligung der Schweizer Landwirtschaft
Die Einberechnung der wahren Kosten würde die Produktionskosten für Landwirtinnen und Landwirte erhöhen. Da importierte Lebensmittel oft nicht denselben Standards unterliegen, könnten sie trotz höherer Transportkosten günstiger bleiben. Eine einseitige Einführung der wahren Kosten für die Schweiz oder einzelne Länder würde eine Ungleichbehandlung schaffen. Dies würde lokale Bäuerinnen und Bauern benachteiligen und könnte dazu führen, dass nachhaltiger produzierte einheimische Lebensmittel an Wettbewerbsfähigkeit verlieren, während mehr billigere Produkte aus dem Ausland importiert werden.
Förderung des Einkaufstourismus
Wenn Lebensmittel durch die Berücksichtigung der wahren Kosten teurer werden, könnten Konsumenten vermehrt im Ausland einkaufen, wo diese Kosten nicht einberechnet werden. Besonders in Grenzregionen würde der Einkaufstourismus zunehmen, was den Absatz lokaler Produkte weiter verringert. Dies hätte nicht nur negative Folgen für die Landwirtschaft, sondern für die gesamte Schweizer Wertschöpfungskette.
Bürokratische Hürden und Mehraufwand
Eine flächendeckende Umsetzung erfordert umfangreiche bürokratische Strukturen zur Berechnung, Kontrolle und Durchsetzung. Landwirte müssten zusätzliche Dokumentationen und Nachweise erbringen, was Zeit und Geld kostet. Gerade für Familienbetriebe wäre der bürokratische Mehraufwand eine erhebliche Belastung.
Haltung Schweizer Bauernverband
Die Preise werden durch die Produzentenorganisationen, welche beim Schweizer Bauernverband Mitglied sind, auf Basis der Produktionskosten verhandelt. Der SBV steht aber dem Konzept der „Wahren Kosten“ sehr kritisch gegenüber, da es zu höheren Produktionskosten, Wettbewerbsnachteilen für einheimische Landwirte und verstärktem Einkaufstourismus führen könnte. Problematisch sind vor allem die Annahmen und die Berechnung externer Kosten. Diese sind komplex und schwer standardisierbar, wodurch eine faire Umsetzung kaum gewährleistet werden kann. Wahre Kosten stellen ein Risiko dar, da sie den Konsum und die Produktion zu lenken versuchen, ohne den Zielkonflikten Rechnung zu tragen. Statt zusätzlicher Belastungen setzt der SBV auf Anreize für nachhaltige Produktion, faire Marktbedingungen und eine bessere Wertschätzung regionaler Lebensmittel.
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[1] FAO, 2023. The State of Food and Agriculture 2023.
Kontaktperson

Michel Darbellay
Leiter Departement Produktion, Märkte & Ökologie
Leiter Geschäftsbereich Viehwirtschaft
Laurstrasse 10, 5200 Brugg
michel.darbellay@sbv-usp.ch
Departement Produktion, Märkte & Ökologie