Die Weiterentwicklung der Agrarpolitik befindet sich aktuell in politischer Diskussion. Die AP22+ wurde in der Frühjahrsession 2021 vom Parlament sistiert. Dies, da sie diverse Zielkonflikte enthält, das Sektoreinkommen in der Landwirtschaft reduziert hätte und zudem Fehler in der Botschaft enthalten hat. Stattdessen hat das Parlament den Bundesrat im Rahmen eines Postulates beauftragt, einen Bericht zur zukünftigen Ausrichtung der Agrarpolitik zu verfassen.
Postulat-Bericht zur künftigen Ausrichtung der Agrarpolitik
Im Auftrag des Bundesrates hat das Bundesamt für Landwirtschaft diesen Bericht zur künftigen Ausrichtung der Agrarpolitik verfasst. Dabei waren folgende Massnahmen zu prüfen:
- Massnahmen zur Aufrechterhaltung des Selbstversorgungsgrades
- Erweiterung der Agrarpolitik in Richtung einer ganzheitlichen Politik für gesunde Ernährung und nachhaltige Lebensmittelproduktion;
- Möglichst weitgehende Schliessung der Kreisläufe aller Nährstoffe über die gesamte Wertschöpfungskette inklusive Konsum;
- Reduktion der Komplexität und Fokussierung auf besonders wirksame agrarpolitische Instrumente; Reduktion des administrativen Aufwandes für die Landwirtschaft und Reduktion der Verwaltung beim Bund und den Kantonen.
- Rahmenbedingungen schaffen für eine möglichst grosse unternehmerische Freiheit und wirtschaftliche Perspektive für die Land- und Ernährungswirtschaft.
- Reduktion von Wettbewerbsverzerrungen zwischen Inlandproduktion und Importen aufgrund unterschiedlicher gesetzlicher Vorschriften für die Produktion unter Berücksichtigung internationaler Verpflichtungen.
- Förderung und Unterstützung von Direktverkauf und kurzen Vertriebswegen
- Massnahmen gegen die Lebensmittelverschwendung, z. B. Vorgehen gegen eine übermässige Standardisierung von Obst und Gemüse oder andere Massnahmen, die in das Gesetz aufgenommen werden könnten.
Der Bundesrat hat den Bericht am 22. Juni 2022 verabschiedet. Aus Sicht des Schweizer Bauernverbands (SBV) hat es in diesem Bericht begrüssenswerte Ansätze. So will die Regierung, die heute einseitig auf die Landwirtschaftsbetriebe fokussierte Agrarpolitik unter das Dach einer Ernährungsstrategie stellen und alle Akteure entlang der Wertschöpfungskette in die Pflicht nehmen. Die Landwirtschaft soll weiterhin marktorientiert Lebensmittel produzieren können. Der Bundesrat ist sich bewusst, dass die Weiterentwicklung des heutigen Systems hin zu einem nachhaltigen Ernährungssystem nur funktionieren kann, wenn sich alle betroffenen Politikfelder kohärent und synchron weiterentwickeln und sich so auch Zielkonflikte abschwächen lassen. Dabei stehen auch die Konsumierenden in der Pflicht, die mit der Wahl der Lebensmittel entscheidend dazu beitragen, was in der Schweiz und weltweit, wie angebaut wird.
Der Bericht bietet für die Bauernfamilien nicht nur Chancen, sondern auch Herausforderungen. So geht der Bericht bei der Wirtschaftlichkeit davon aus, dass das heutige Grenzschutzsystem gesamtwirtschaftlich auch Nachteile hat und insbesondere die nachgelagerten Stufen schwächt. Auf die Vorteile, die das Grenzschutzsystem gerade jetzt bei stark steigenden internationalen Preisen hat, geht der Bericht nicht ein. Weiter fehlen im Bericht Massnahmen, um die soziale Situation der Land- und Ernährungswirtschaft wirkungsvoll zu verbessern. Zudem muss aus Sicht des SBV die hohe Bedeutung einer ausreichenden inländischen Nahrungsmittelproduktion stärker gewichtet werden. Im Grossen und Ganzen bietet der Bericht für die Schweizer Landwirtschaft und die Bauernfamilien positive Perspektiven zur künftigen Ausrichtung der nationalen Agrarpolitik.
Parlamentarische Initiative 19.475 «Risiken beim Einsatz von Pflanzenschutzmittel und Nährstoffverluste reduzieren»
Dringend umzusetzende Massnahmen aus der AP22+, die die Risiken beim Einsatz von Pflanzenschutzmittel sowie die Nährstoffverluste beim Umgang mit (Hof-)Düngern reduzieren sollen, werden in Form von Verordnungs-Anpassungen trotzdem bereits ab 01.01.2023 umgesetzt (Aufzählung nicht abschliessend):
- Reduktion des Basisbeitrags um 300.- CHF pro Hektar
- Aufhebung der Obergrenze von 70'000.- CHF pro SAK
- Aufhebung des 10%-Toleranzbereichs in der Suisse-Bilanz
- Einführung der ÖLN-Anforderung: mind. 3.5% der Ackerfläche als BFF (ab 2024)
- Aufhebung des Verbotes für Vorauflaufbehandlungen im Getreide ab dem 10. Oktober
- Wirkstoffe mit einem erhöhten Risikopotenzial für Oberflächengewässer oder Grundwasser dürfen grundsätzlich nicht angewendet werden
- Einführung neuer Produktionssystembeiträge
Künftige Agrarpolitik
Die Diskussion zur künftigen Agrarpolitik wird im Parlament wieder aufgenommen. Wichtige Massnahmen, die dazu beitragen die landwirtschaftliche Produktion umweltfreundlicher zu machen, wurden mit der parlamentarischen Initiative bereits umgesetzt. Der vom Bundesrat verabschiedete Bericht zur künftigen Ausrichtung der Agrarpolitik schlägt als weiteres Vorgehen vor, unumstrittene Massnahmen aus der AP22+ sobald als möglich umzusetzen. Die restlichen Massnahmen werden (zumindest vorläufig) verworfen. Anschliessend soll das Parlament die Debatte zu einer Agrarpolitik ab 2030 aufnehmen.